Tropen sind Produkte einer innerhalb der mittelalterlichen Kirche weitverbreiteten Praxis, die herkömmlichen und durch religiöse Autorität beglaubigten Gesänge des Ritus poetisch und melodisch zu erweitern, ohne sie dabei verändernd anzutasten. Die Produktion von Tropen setzte in der Karolingerzeit ein. Sie markiert den Übergang von einer passiven zu einer produktiven Aneignung des (von den Karolingern ‘gregorianisch’ genannten) Römischen Gesangs im Frankenreich.
Die im Band II 1 erstmals herausgegebenen Tropen sind in zehn Handschriften französischer Herkunft des 12. bis 15. Jahrhunderts mit Notation auf Linien überliefert. Sechs dieser Handschriften waren bislang als Tropenquellen unbeachtet geblieben. Die Ausgabe beleuchtet das Weiterleben der Tropen in jenen Gebieten westlich des Rheins, wo sie im 9. Jahrhundert aufgekommen waren, und in einer Zeit, in der man sie dort schon wieder für weithin als verschwunden hielt. Zugleich liefern die Liniennotationen der für den Band herangezogenen späteren Handschriften den Schlüssel zu den melodischen Lesarten älterer westfränkischer und insularer Tropenquellen, deren linienlose Neumennotationen erst im Abgleich mit späteren Aufzeichnungen auf Notenlinien diastematisch (bezüglich der Tonabstände und Tonstufen) ‘lesbar’ werden.