Strukturelle Gewalt ist nicht allein ein Problem der Politikwissenschaft: Realpolitische Machtkonstellationen und kulturell codierte Wahrnehmungsordnungen verbinden sich und gehorchen dabei komplexen Logiken, die eine theoretisch-philosophische Reflexion erfordern. Als gesellschaftliche Tiefensondierung ist es aber die Literatur, die eine solche Bündelung artikuliert.
Anne Lindner nimmt die Debatte um den Autor Peter Handke während der Jugoslawien-Kriege zum Ausgangspunkt, über die literarische Artikulation den Typus der strukturellen Gewalt als Problem moderner Staatsgesellschaften zu untersuchen. Sie geht dabei auf zwei Ebenen vor: Zum einen werden die Texte Handkes auf die politischen Problemstellungen hin in ihrer politischen Äußerlichkeit gelesen; zum anderen wird mithilfe neuerer politischer Theorien ein begriffliches Instrumentarium politischer Analyse entwickelt. So gelingt eine disziplinen-übergreifende Analyse des Phänomens struktureller Gewaltmechanismen in der Komplexität ihrer systematischen wie konkreten Aspekte: Souveränität, Recht, Polizei, Krieg, kulturell-mediale Steuerung der Argumentation und des Blicks. Der methodische Einsatz einer gesellschaftlich orientierten Literaturwissenschaft besteht dabei in der Kartographierung dieser Wahrnehmungspolitik.