�berlieferte mittelalterliche Predigttexte sind in den seltensten F�llen unverstellte Zeugnisse tats�chlich gehaltener Predigten. In der Regel sind sie Muster- oder Lesepredigten f�r den Prediger, bestimmt zum Vorlesen im Konvent bei Tisch oder zur erbaulichen Lekt�re und Meditation in der Klosterzelle. Sie inszenieren jedoch im schriftlichen Text die spezifische M�ndlichkeit des �preaching events�, wobei im Falle des Vorlesens eine Reoralisierung eintritt. So ist der Lesepredigt eine gewisse Performanz eingeschrieben, die sich aber je nach Art des Lese- oder Vorleseaktes anders aktualisiert. Typisch ist auch ihr Drang zur Veranschaulichung, ihr massiver Einsatz von rhetorischen Bildern, Allegorien und Exempla, kurz: ihre Bildlichkeit.
Der vorliegende Band fragt von daher, wie in den Handschriften und fr�hen Drucken mit realen oder suggerierten Bildern Wahrnehmung und Erkenntnis gesteuert wird. Es ist zu zeigen, wie Inszenierungen von M�ndlichkeit und Schriftlichkeit hinter Sprachbildern stehende Visualisierungsstrategien nutzen. Bei der Imagination, beim Gegenw�rtig-werden-Lassen, geht es um performative Vorg�nge, die sich zwischen Text und Rezipient abspielen, die dem Text als Spuren eingezeichnet sind und die es aufzudecken gilt.