Die Mehrzahl der russischen Bürger ist überzeugt, »der Westen« plane einen Angriff auf ihr Land. Sind es nur die massiven Medienkampagnen, die diese kollektive Hysterie entfacht haben? Woher die Angst, die Aggressivität, der Hass gegen Andersdenkende?
Irina Prochorowa blickt zurück auf die Gewaltgeschichte der Sowjetepoche: Oktoberrevolution, Entfesselung des Terrors, Gulag, Zweiter Weltkrieg. Kaum eine Familie, die nicht über Generationen von extremem Leid und seinen Folgen betroffen gewesen wäre. Das Verhältnis zu Schmerz und Verlust wurde vom Staat diktiert, in jubelnden Massenfesten ritualisiert. Individuelle Erinnerung verdrängen zu müssen war die Grunderfahrung der Gesellschaft. Warum lebt diese »Unfähigkeit zu trauern« bis heute fort? Ist sie der Grund für das kollektive Trauma verängstigter Bürger?