Das 1912 in Kraft getretene Schweizerische Zivilgesetzbuch regelte das Vormundschaftswesen auf der Grundlage von Wertvorstellungen des 19. Jahrhunderts. Während hundert Jahren konnten bei festgestellter Schutzbedürftigkeit Erwachsene aus verschiedenen Gründen, zum Beispiel wegen «Verschwendung», «Trunksucht», «lasterhaften Lebenswandels» oder «Misswirtschaft», bevormundet werden. Mit der Entmündigung als stärkster vormundschaftlicher Massnahme verloren Erwachsene ihre Handlungsfähigkeit weitgehend. Das Buch zeigt ausgehend von den Vormundschaftsakten einer Thurgauer Gemeinde auf, wie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und bis ins Jahr 2012 Erwachsene, die den vormundschaftlichen Behörden ins Auge fielen, sich in einem Spannungsfeld persönlicher Anliegen und öffentlicher Interessen wiederfanden. Mit der Bevormundung gerieten sie in ein vielschichtiges, dynamisches Machtverhältnis mit Konfliktpotenzial. Je nach Bevormundungsgrund und persönlicher Wahrnehmung erlebten die Betroffenen die Vormundschaft als willkommene Unterstützung oder als ungerechtfertigten Eingriff in ihre Privatsphäre und nutzten unterschiedliche Strategien, um mit der Situation umzugehen. Während die Vormundschaftsgesetzgebung sich kaum veränderte, unterlag die Praxis einem Wandel. Diesen untersucht die Autorin anhand von Fallbeispielen und stellt ihn in den schweizerischen Kontext.