Kaum ein Terminus ist in den vergangenen Jahren so sehr zu einem Leitbegriff politischer Programme, sozialer Erwartungen und individueller Hoffnungen geworden, wie derjenige der Gerechtigkeit. Seit jeher dient diese Kategorie als Legitimationsgrundlage und normative Orientierung für geltende Rechtsordnungen und staatliche Verfassungen. Die Aktualität der mit dem Terminus verbundenen Thematik steht allerdings im Kontrast zu seiner Unbestimmtheit. Wurde in der griechischen Antike mit der Eingliederung der Gerechtigkeit als bürgerliche Elementartugend im Rahmen der politischen Philosophie Platons diesem Begriff noch eine für lange Dauer verbindliche Differenzierung zuteil, so ist seine Semantik heute kaum mehr präzise bestimmbar. Ziel des Bandes ist es, die unterschiedlichen Facetten des Themas aus der jeweiligen Perspektive unterschiedlicher einschlägiger Disziplinen zu beleuchten. Die Beiträge kommen aus verschiedenen Fachbereichen und Diskursen, die von der Politik bis zur Religion, von den Sozialwissenschaften bis zur Theologie reichen. Dieser Band basiert auf der Vortragsreihe "Gerechtigkeit" an der Universität Luzern, die aus dem universitären Forschungsschwerpunkt "Text und Normativität (TeNOR)" hervorgegangen ist. In diesem wurden die historischen und systematischen Interdependenzen zwischen der Genese normativer Grundlagen gesellschaftlicher Entwicklung einerseits und deren jeweiliger Textgestalt in Politik, Recht, Religion und Literatur andererseits untersucht. Das Thema ,Gerechtigkeit' ist dabei unmittelbar mit der Gesamtthematik von TeNOR verbunden: Rechtstexte leiten sich ebenso sehr von vorgängig entwickelten normativen Idealen individueller Gerechtigkeit her, wie philosophische Theorien sozialer Ordnungen oder religiöse Konzeptionen.