Die öffentliche Dienstleistungsbranche, deren paradigmatische Berufe – Verkehrsplanung und Lok- bzw. Triebwagenführen – männlich segregiert und codiert sind, ist seit den 1990er-Jahren von Privatisierungstendenzen, deren Infragestellung seit der Finanzkrise sowie einer Prekarisierung der Arbeitsbedingungen geprägt, die mittlerweile in Fachkräftemangel umschlägt. Am Beispiel des öffentlichen Nahverkehrs wird untersucht, wie Geschlechterdifferenz in Konflikten über die Daseinsvorsorge, auch als Reaktion auf gesellschaftliche Transformation, hergestellt wird.
In gesellschaftlichen Transformationsprozessen erweisen sich Geschlechterordnungen als veränderbar, aber auch als beharrlich. In welcher Wechselwirkung mit aktuellen Geschlechterordnungen stehen die unterschiedlichen Modi, in denen Geschlechterdifferenz aktiviert oder nicht aktiviert wird? Diese Frage beantwortet die Studie, indem Expert*innenwissen zum Begriff der Daseinsvorsorge, zu den Beschäftigungsbedingungen von Triebwagenführenden und zu betrieblichen Gleichstellungspolitiken hermeneutisch rekonstruiert wird. Theoretisch sensibilisierend wird die feministische Rationalisierungsforschung herangezogen, um die Konflikte um Transformation im Handlungsfeld geschlechtertheoretisch einordnen zu können, während das Konzept des Androzentrismus zentral ist, wenn das ‚Vergessen‘ von Differenz erfasst werden soll.
Ziel der Untersuchung ist es, Deutungsmuster in Rationalisierungskonflikten um den Schienenpersonennahverkehr und darin enthaltene Herstellungsweisen von Geschlechterdifferenz zu rekonstruieren. Dabei zeigt sich, dass eine Rekonstruktion des Geschlechterwissens in gesellschaftlichen Konfliktlagen besonders geeignet ist, die vielfältigen Modi herauszuarbeiten, mit denen Geschlechterhierarchien im Wandel stabilisiert werden.
Die Autorin
Dr. Joana Coppi
ist Soziologin und forscht zum Thema Arbeit, Organisation und Geschlecht.