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image-Das Sexualstrafrecht der Schweiz
29.11.2020

Das Sexualstrafrecht der Schweiz

Dringender Reformbedarf

Knapp 30 Jahre nach der letzten grossen Reform findet seit einiger Zeit wieder eine öffentlichkeitswirksame Debatte über das Sexualstrafrecht statt. In Stellungnahmen, Petitionen und politischen Vorstössen fordern NGOs, Expertinnen und Experten für Strafrecht und Politikerinnen und Politiker eine Reform des materiellen Sexualstrafrechts. Anfang 2020 hat sich auch die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates dafür ausgesprochen, die Frage eines Revisionsbedarfs vertieft zu prüfen. Die entsprechende Vorlage soll Ende 2020 vorliegen.

Hintergrund der Debatte ist die Tatsache, dass das geltende Sexualstrafrecht dazu beiträgt, dass Fälle von nicht einverständlichen sexuellen Handlungen unbestraft bleiben. Obwohl unser Sexualstrafrecht dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung verpflichtet ist, werden sexuelle Handlungen, die nicht beide Sexualpartner wollen, nur dann als schweres Unrecht qualifiziert, wenn das Opfer zum Geschlechtsverkehr genötigt wurde.

 

Handelt der Täter «nur» ohne Zustimmung oder setzt sich über ein ausdrückliches «Nein» des Opfers hinweg, kann die Tat nicht als Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung bestraft werden. Solche Übergriffe können im schweizerischen Strafrecht – ein rechtzeitig gestellter Strafantrag vorausgesetzt – allenfalls hilfsweise als sexuelle Belästigung mit Busse bestraft werden. Dies wird dem gravierenden Unrecht der Übergriffe nicht gerecht.

 

Die geltende Rechtslage, wonach ein blosses «Nein» nicht ausreicht, widerspricht nicht nur menschenrechtlichen Vorgaben (etwa aus der sog. Istanbul-Konvention), sondern gründet auch in überholt geglaubten Vorstellungen, wie sich Opfer eines Sexualdelikts verhalten (sollen). Durch die Konzipierung des Vergewaltigungstatbestandes als Nötigungsdelikt wird deutlich, dass von Opfern grundsätzlich erwartet wird, dass sie ungewollten sexuellen Handlungen Widerstand entgegensetzen. Dies weckt nicht zufällig Erinnerungen an vergangene Zeiten, in denen man von Frauen erwartete, dass sie ihre Ehre und Sittlichkeit verteidigten. Spätestens seit #metoo dürfte allen bewusst sein, dass sexuelle Handlungen, die nicht von allen Beteiligten konsentiert sind, ein gravierendes Unrecht mit langfristigen Folgen für die Betroffenen darstellen.

 

Zahlreiche europäische Länder haben in den vergangenen Jahren ihr Sexualstrafrecht entsprechend angepasst und eine «Nein-heisst-Nein»- oder eine «Nur-Ja-heisst-Ja»-Regelung eingeführt. Es bleibt nun abzuwarten, ob die Schweiz nachzieht und ebenfalls den längst überfälligen Paradigmenwechsel vollzieht.

Dazu passende Titel

Grundlagen und Reformbedarf
Stämpfli Verlag, 2018
Die Arbeit bietet eine umfassende Untersuchung des Konzepts der sexuellen Selbstbestimmung im Strafrecht. Unter Berücksichtigung der beiden Schlüsselkonzepte «Autonomie » und «Einwilligung» bestimmt die Autorin den Inhalt und die Reichweite des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung und legt die völkerrechtlichen Vorgaben dar. Auf der Grundlage dieses normativ begründeten Prinzips der sexuellen Selbstbestimmung werden die Normen des schweizerischen Sexualstrafrechts einer kritischen Überprüfung ...
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