Marginalien sind bekanntlich Texte, welche materiell am Rand eines Haupttextes entstehen und oft inhaltlich diesem Haupttext als ihrem ursprünglichen Sinn- und Verstehenshorizont inhärieren. Entgegen der gewöhnlichen Annahme, Marginalien seien eine sekundäre und beiläufige Textform von begrenzter philosophiehistorischer Relevanz, will dieses Buch im Anschluss an neuere Ansätze der materiellen Wissensgeschichte das Potential und die Perspektiven der Marginalienstudien für die Erforschung der Philosophie des Mittelalters und der Renaissance ausloten. Insofern Marginalien z.B. die Lektüre und das Studium einer Schrift punktuell dokumentieren, bieten sie eine besonders konkrete und aufschlussreiche Grundlage für die Erschließung der Rezeptions- und Interpretationsgeschichte einzelner Quellen oder Quellenkomplexe. An Handschriften und Büchern lässt sich aber oft auch die Lese- und Schreib-Werkstatt der Gelehrten eruieren, d.h. ihre Arbeitsmethoden sowie das persönliche und intellektuelle Netzwerk, in dem Texte und Ideen zirkulierten.
Das Buch versammelt Beiträge, welche die Besonderheit der literarischen Gattung der Marginalien als Gegenstand historisch-philosophischer Interpretation sowie kritischer Edition reflektieren. Es zielt darauf ab, die Lese- und Schreibpraktiken zu untersuchen, aus denen diese Textform in der Vielfalt ihrer Zwecke und Kontexte hervorgegangen ist. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den lateinischen, arabischen und hebräischen Philosophietraditionen des Mittelalters und der Renaissance - an der Schwelle von der Handschriften- zur Buchkultur.